“Es kann nicht sein, dass wir als Dirigenten schlechter dirigieren müssen, nur weil der Chor sonst nicht reagiert. Wenn man sich sicher ist, es richtig zu machen, dann muss man sagen: ‚Wer damit nicht klarkommt, der muss sich einen anderen Chor suchen, denn ich mach das jetzt so!'” Diese Worte von Jörg-Peter Weigle, Professor für Chordirigieren an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, könnten das Motto des Weiterbildungsmasters “Interpretation der Chormusik” sein. Am Sonntagmorgen lud Weigle interessierte ChorleiterInnen bei Chor@Berlin zu einer offenen Probe mit seinen Studierenden ein und gewährte einen Einblick in seine Arbeitsweise.
Der berufsbegleitende Weiterbildungsmaster “Interpretation der Chormusik” wurde erstmals 2014 als Kooperation der Musikhochschule und des Deutschen Chorverbands angeboten und gibt ChorleiterInnen mit Berufserfahrung die Möglichkeit, ihr Dirigat zu verbessern und eingeschliffene Fehler wieder auszumerzen. Das Angebot umfasst neben dem vorbereitenden Selbststudium vier Arbeitsphasen zu je vier Tagen in Berlin. (Die Arbeitsphasen des nächsten Studiengangs finden zwischen Januar und September 2017 statt.)
Mit gezielten Fragen brachte Weigle die Studierenden bei der offenen Probe im Rahmen von Chor@Berlin dazu, Ungenauigkeiten selbst zu erkennen und nach eigenen Lösungswegen zu suchen – und vor allem, nicht zu zögern oder an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln: “Sie müssen Ziele haben und daran schon denken, bevor Sie dort ankommen. Und Sie dürfen keine Angst haben. Sonst fragen Sie sich: ‘Singen die jetzt?’ Und die Sänger fragen sich: ‘Dirigiert sie jetzt?'”
Gleichzeitig animierte Weigle die Studierenden dazu, diese Ziele nicht immer vorab zu erklären, sondern vielmehr ihre Hände sprechen zu lassen und auch Interpretationsvarianten wie längere Pausen unangekündigt auszuprobieren. Das sichere dem Dirigenten die ungeteilte Aufmerksamkeit des Chores: “Das sind die schönsten Klänge, die ein Chor produzieren kann: wenn er nicht weiß, wie es weitergeht.”
Nachdem die Studierenden in der ersten Hälfte noch mit zwei Pianisten und einem kleinen Ensemble aus Workshopteilnehmern geprobt hatten, durften sie Weigles Verbesserungsvorschläge in der zweiten Hälfte direkt am lebenden Objekt ausprobieren. Das consortium vocale berlin hatte sich als Studiochor zur Verfügung gestellt – und der Auftritt des erstklassigen Ensembles brachte eine ganz neue Erfahrung mit sich: “Singen Sie mal, was sie dirigiert”, gab Weigle vor, “und nicht, was Sie glauben, was sie dirigiert.” Das Ergebnis war verblüffend – der Chor reagierte auf die kleinste Handbewegung der Dirigentin und zeigte den Studierenden auf eindrucksvolle Weise, dass jede Geste gut durchdacht sein muss.
Die Anmeldefrist für den nächsten Weiterbildungsmaster “Interpretation der Chormusik”, der 2017 startet, endet bereits am 15. April 2016. Interessierte finden alle Informationen unter: