Feb 192012
 

Der Ich-kann-nicht-Singen-Chor von Michael Betzner-Brandt ist gewissermaßen ein Baby von Chor@Berlin. Bei der ersten Auflage des Vokalfests im Januar 2011 wude er ins Leben gerufen und hat sich seitdem prächtig entwickelt: In der folgenden Zeit kamen immer mehr Menschen einmal im Monat ins RADIALSYSTEM V um das zu machen, was sie sich bislang gar nicht oder allenfalls unter der Dusche getraut haben: zu singen. Und weil der Ich-kann-nicht-Singen-Chor mittlerweile nahezu Kultcharakter hat, durfte er natürlich auch bei der zweiten Auflage von Chor@Berlin nicht fehlen.

„’Ich kann nicht singen’ ist eine Aussage, die so nicht stimmt”, sagt Michael Betzner-Brandt. Der Berliner Pop-Chorleiter (“Fabulous Fridays”) und Dozent für Chor- und Ensembleleitung an der Universität der Künste findet, dass jeder, der sprechen auch singen kann: “Singen geht übers Fühlen – es soll sich gut anfühlen im Körper.“ Seit mehreren Jahren entwickelt Betzner-Brandt Konzepte zum Thema Improvisation und Stimme, 2011 erschien sein Buch „Chor kreativ – Singen ohne Noten“, zu dem er bei Chor@Berlin auch einen Workshop gestaltete.

Doch hier, beim Ich-kann-nicht-Singen-Chor hat er überwiegend Menschen ohne musikalische Vorbildung um sich – und zwar verdammt viele: Rund 300 Karten hatte das RADIALSYSTEM verkauft, etliche mehr hätten es sein können. Aber Sängerinnen und Sänger brauchen Platz, was sich gleich bei den ersten Aufwärmübungen zeigt: Beim “Au ja!”-Spiel sollen die Teilnehmer wie Propellerflugzeuge durch den Saal fliegen, herumschwirren wie Bienen, auf einem Bein Hüpfen, wie Fische schwimmen oder wie Basketballer dribbeln – alles mit dem entsprechenden Sound, versteht sich.

Es folgen stille Momente, bei geschlossenen Augen sollen alle ganz bewusst ihren Atem spüren. Und dann kann gesungen werden: Zunächst lange Töne, zunächst jeder für sich allein, dann im Zusammenspiel mit anderen, die einzelnen Stimmen verschmelzen zu einem einzigen, großen Raumklang. Für viele hier das erste Chor-Erlebnis, was an der ergriffenen Stille zu spüren ist, die nach einem fünfminütigen Klangteppich im Raum herrscht. Dann lässt Betzner-Brandt die Teilnehmer Töne von der Decke pflücken oder vom Boden aufheben, die sie dann anderen “zeigen”, also vorsingen.

So entwickeln die Teilnehmer Stück für Stück ein Gefühl für ihre Stimme und sind nach rund 20 Minuten bereit, richtig loszulegen!