Feb 182012
 

Beim Runden Tisch der Berliner Chorszene ging es am Samstagvormittag bei Chor@Berlin um neue Konzertformate. Mit diesem Thema waren die rund 30 Teilnehmer im RADIALSYSTEM V genau am richtigen Ort, versucht dieses doch seit Jahren, durch innovative Konzepte Publikum wie Künstlern gleichermaßen neue Horizonte zu eröffnen.

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“Ich glaube, dass sich die gesellschaftliche Funktion von Kulturveranstaltungen sehr verändert hat”, sagt Folkert Uhde, Geschäftsführer des RADIALSYSTEM V. Nicht nur hätten die Menschen immer weniger Zeit bei gleichzeitig immer mehr Auswahl kultureller Veranstaltungen, auch verschwinde zunehmend der klassisch bildungsbürgerliche Hintergrund – ob das einem nun gefalle oder nicht. Dies bedeute für Veranstalter, sich vermehrt auf die neuen Bedürfnisse des Publikums einstellen zu müssen. “Die Leute brauchen Orte, an denen sie sich wohlfühlen”, ist Uhde sich sicher. “Wo sie Musik hören, aber auch Freunde treffen können, essen und trinken, entspannen.”

Wie das aussehen kann, machte bei Chor@Berlin die vierstündige Bach-Nacht vor, während der sich die Besucher das Konzert aus der großen Halle nicht nur nebenan bei einem Bier auf Leinwand anhören konnten, sondern sich im fünften Stock zu Bach’scher Live-Musik auch gemütlich auf Matten legen konnten statt zu sitzen. Dass viele Besucher davon zunächst irritiert waren, ist genau in Uhdes Sinne: “Der Faktor Überraschung ist ganz wichtig.”

Während Uhde als Veranstalter seinen Blick verständlicherweise in erster Linie auf das Publikum richtet, denkt Moritz Puschke an die Akteure der Szene. Als Geschäftsführer des Deutschen Chorverbands weiß er um deren Heterogenität, die aber an vielen Punkten Schnittstellen aufweist. Deshalb müsse man mehr über Formate nachdenken, die die gesamte Vielfalt der Chorszene zeigen. “Wir müssen vor allem den Medien klarmachen, dass sie ihr Schubladendenken – zum Beispiel was die musikalischen Genres betrifft – ablegen müssen, wenn sie ein gesamtgesellschaftliches Phänomen wie das Chorsingen abbilden wollen”, glaubt er. “Chormusik ist genauso Bach wie Jazz, genauso Profiensemble wie der Ich-kann-nicht-singen-Chor.”

Dessen Erfinder, der Berliner Pop-Chor-Leiter und Dozent an der Universität der Künste Michael Betzner-Brandt, saß ebenfalls in der Runde. Er erhofft sich durch kreative Konzertgestaltung eine Überwindung der Kluft zwischen Musikern und Publikum, etwa indem die Zuhörer singend miteinbezogen werden. Auch eine Jazz-Chorleiterin erzählte davon, wie ihre Chöre die Konzert-Besucher immer wieder aktiv miteinbinden: “Wir fordern sie etwa auf, die Augen zu schließen, oder an bestimmten Stellen mitzusingen.”

Doch nicht jeder möchte an einem Abend im Konzert zum Mitmachen genötigt werden. “Ich finde das oft affig, wenn das Publikum unbedingt miteinbezogen werden soll”, gestand einer der Diskutierenden. Er wolle vorher wissen, worauf er sich bei einem Konzert einlasse – und sich dann bewusst dafür oder dagegen entscheiden. Eine Berliner Chorleiterin gab außerdem zu bedenken, dass sich nicht alle Veranstaltungsorte für derartige Konzertgestaltungen eignen, weil das Publikum oft doch sehr unterschiedlich sei.

Deutlich wurde, dass nach wie vor ein großer Bedarf an Vernetzung innerhalb der Szene besteht, um Ideen und Konzepte auszutauschen. Dies griff Folkert Uhde auf, um am Ende die Einführung eines monatlichen Chorbrunches im RADIALSYSTEM V anzubieten, was die Runde begeistert aufnahm. Dass er und sein Team mit dem Konzept des Hauses schon eine ganze Menge richtig machen, bewies die Erinnerung einer Anwesenden an Singen@Spree im vergangenen Sommer: “Ich habe zweimal geheiratet und drei Kinder großgezogen. Aber das war, glaube ich, wirklich das Schönste, was ich je erlebt habe.”

 

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