Feb 202013
 

Eric EricsonVon Friederike Woebcken*

Der legendäre schwedische Chorleiter Eric Ericson hat am 16. Februar im gesegneten Alter von 94 Jahren diese Welt verlassen. Er hinterlässt in der Chorwelt eine große Lücke. Er war eine Ausnahmepersönlichkeit, die Schweden berühmt gemacht hat für exquisite Chorkultur. Keine Musikerpersönlichkeit hatte solch nachhaltigen Einfluss auf das Musikleben, die Musiker und Zuhörer in Schweden. Daher ist die Lücke, die er hinterlässt, unendlich groß.

Die Begegnung mit Eric Ericson hat viele von uns (nicht mehr ganz jungen) Chorleitern und Chorleiterinnen nachhaltig geprägt, seine künstlerische Arbeit, seine Pädagogik und seine Menschlichkeit. Eric Ericson hat der A-cappella-Musik ihren Adelstitel zurückgegeben. Er hat mit seinem Kammerchor und mit dem Rundfunkchor Stockholm bewiesen, dass ein Vokalensemble die gleiche Wirkung erzielen kann wie ein großes Instrumentalensemble. Er hatte seinen eigenen Chorklang, der geprägt ist von fließender, homogener und warmer Reinheit, und er hat uns die Liebe zu diesem Klang vermittelt.

Ericson ist eine singuläre Erscheinung in der Musikwelt, auch wenn es inzwischen aus seiner “Schmiede” unzählige hervorragende ChordirigentInnen in Schweden und in der ganzen Welt gibt. Seinem unermüdlichen Engagement über Jahrzehnte im Bereich der professionellen Chorarbeit verdanken wir die Anerkennung Neuer Chormusik, die Schaffung eines unverwechselbaren „nordischen“ Chorklanges und die Förderung des Chorleiternachwuchses. Sein Wirken während der letzten Jahrzehnte hat dem Chorgesang eine neue Wertigkeit verliehen und sein Ansehen gegenüber der Instrumentalmusik ebenbürtig gemacht. Er hat den Chor als Klangkörper zu einer zuvor noch nie erlebten Professionalität geführt.

Ericson war kein ausgebildeter Sänger. Er spielte jedoch ausgezeichnet Klavier und konnte auf den Tasten seine Klangvorstellung wie kein anderer vermitteln. Er liebte den Jazz, konnte wunderbar improvisieren und hatte einen hervorragenden Humor. In den Bühnenshows “Caprice” des berühmten Männerchores “Orphei Drängar” (“Orpheus Knechte”) ließ er sich zu unvergesslichen Sketchen auf der Bühne hinreißen.

Eric Ericson wurde am 26. Oktober 1918 in Borås geboren und kam auf der Insel Gotland im elterlichen Pfarrhaus früh mit Orgelmusik und Kantorenpraxis in Berührung. Dort gründete er mit 13 Jahren seinen ersten Chor, um die gottesdienstliche Musik auszugestalten. Er wuchs in der Tradition der verschiedenen schwedischen Volksbewegungen und der Chortradition der Freikirchen auf. Er studierte Kirchenmusik und Chorleitung an der Königlich-Musikalischen Akademie in Stockholm und an der Schola Cantorum in Basel.

1945 gründete Eric Ericson den Stockholmer Kammerchor, nunmehr “Eric Ericson Kammerchor”. Von 1949 bis 1974 war er Kantor an der Stockholmer Jakobskirche. Er war Dirigent des Schwedischen Rundfunkchores (1951-1982), der sich vor allem durch die Interpretation zeitgenössischer Werke von Luigi Dallapiccola, György Ligeti, Krzystof Penderecki und Igor Stravinsky international einen Namen machte. Darüber hinaus leitete er den weltberühmten Männerchor “Orphei Drängar” (1951-1991). Ericson hat nicht nur der A-cappella-Chormusik gedient: es liegen unter anderem Einspielungen aller großen Bach-Oratorien vor. 1974 war er musikalischer Leiter der legendären Zauberflöten-Verfilmung Ingmar Bergmans.

Dank einer Reihe glücklicher Umstände hat Eric Ericson beim Rundfunk in Stockholm in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein umfangreiches modernes Chorrepertoire geschaffen, das heute noch auf die gesamte Chorwelt ausstrahlt.

Eric Ericson

Als Professor an der Musikhochschule in Stockholm hat er seit den fünfziger Jahren viele Generationen von ChordirigentenInnen und ChorsängerInnen hervorgebracht. Ericson hat immer wieder seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass in einem chorischen Ausbildungsprogramm das Studium der A-cappella-Musik höchste Priorität haben sollte, denn hier wird Blattsingen, Ensembleerfahrung, Intonation, Partiturlesen, Satzanalyse und Stilkunde in besonderem Maße geschult. Für ebenso unerlässlich hielt er die Chorschulung innerhalb der Solistenausbildung an den Musikhochschulen, so, wie bei den Instrumentalsolisten die Erfahrungen in Kammermusik und Sinfonieorchester selbstverständlich zur Ausbildung gehören.

Gesangspädagogen sollten die positiven Einflüsse des Ensemblesingens anerkennen, auch in Hinblick auf eine mögliche Anstellung in einem Berufschor. Es gibt A-cappella-Werke großer Komponisten unserer Zeit, die oft professionell ausgebildete Stimmen benötigen, wenn das Werk angemessen aufgeführt werden soll. Durch hervorragende Chöre werden heute Komponisten angeregt, Chorwerke zu schreiben, auf diese Weise ist ein funktionaler kreativer Kreislauf zwischen Dirigent, Ensemble und Komponist eine gute Brutstätte für neue Chormusik.

Nach seiner Pensionierung 1983 begann Ericsons internationale Karriere als Gastdirigent im Ausland bei allen bedeutenden Chören der Welt, beispielsweise beim Niederländischen Kammerchor, der Groupe Vocal de France, den BBC Singers, dem RIAS Kammerchor, bei Accentus in Paris und dem Chor der Wiener Staatsoper. Ericson leitete in Deutschland zahlreiche Meisterkurse, so auch in den 90er Jahren im Nordkolleg Rendsburg, Schleswig-Holstein.

1991 wurde ihm der Dänische Sonningpreis, 1995 der Musikpreis des Nordischen Rates sowie der Königliche Preis der Schwedischen Akademie und 1997 der Polar Music Preis – zusammen mit dem Rock-Star Bruce Springsteen – verliehen. 1983 bekam er die Ehrendoktorwürde der Uppsala Universität und 1996 die der Alberta University in Kanada zugesprochen. 2002 wurde er mit dem Preis der Europäischen Kirchenmusik ausgezeichnet.

Ich verbrachte in den 80er Jahren ein Studienjahr bei Eric Ericson in Stockholm an der dortigen Musikhochschule. Die wöchentlichen Hospitationen bei Rundfunkchor, Kammerchor und “Orphei Drängar” sowie die Mitwirkung im Kammerchor der Musikhochschule haben mir einen Repertoireschatz vermittelt, von dem ich heute noch in meiner Chorarbeit zehre. Später organisierte ich verschiedene Chorreisen für Ericson und den Kammerchor der Musikhochschule Stockholm in Schleswig-Holstein. Zu der Zeit war die gesamte Real Group-Besetzung aktiv im Kammerchor vertreten!

Die Meisterkurse Dirigieren im Nordkolleg Rendsburg in den 90er Jahren brachten vielen deutschen und internationalen jungen Chorleitern und Chorsängern Ericsons Kunst nahe. Ich bekomme immer wieder dankbare Rückmeldung, wie diese kürzlich von einer Sängerin: “Mir ist er wirklich häufig und eindrücklich in Erinnerung, oft denke ich beim Singen daran, wie er eine bestimmte Stelle wohl dirigiert hätte, stelle mir das dann aktiv vor. Auch menschlich hat er mich beeindruckt durch seine freundliche Geduld mit Fehlern und Schwächen, die konzentrierte Reduktion aufs Wesentliche und die Ernsthaftigkeit seiner Arbeit.”

Eric Ericsons Chorklang wird in uns nachklingen.

*) Die Autorin dieses Beitrags, Friederike Woebcken, studierte Chorleitung an der Musikhochschule in Stockholm bei Eric Ericson. Sie ist Leiterin des Madrigalchores Kiel und hat eine Professur für Chorleitung an der Hochschule für Künste Bremen. Dort ist sie Sprecherin des Studiengangs Kirchenmusik.