Sep 122013
 

OLYMPUS DIGITAL CAMERAErwartungsfroh betraten mehrere hundert Fachteilnehmerinnen und -teilnehmer der chor.com am Donnerstag das Kongresszentrum der Messe Westfalenhallen in Dortmund. In den Workshops zeigte sich dann gleich die ganze Bandbreite der chormusikalischen Themen auf dem Branchentreff: von Gregorianischem Choral über Circle Songs bis zu Liedern aus Afrika. Es wurde getanzt und Melodienchaos produziert — und eine Loopstation wirft die Frage auf, ob wir überhaupt noch Sängerinnen und Sänger in Fleisch und Blut brauchen, um einen Chor zu bilden. Die Antwort darauf sowie weitere Eindrücke in Kurzberichten und Fotos aus den Kursen am ersten chor.com-Tag in diesem Beitrag!

Unter dem Titel “Technisches Equipment für Chorleiter, Chöre und Sänger” präsentierten Markus Baltensperger und Judith Erb (Foto links) für den Instrumentenhersteller Roland dessen Neuheiten im Vokalbereich — darunter auch die Loopstation RC300. Mit dieser kann ein einzelner Sänger auf drei Spuren eine schier unendliche Zahl an Stimmen zu einem Gesang zusammenfügen. Dabei unterstützt ein Vocalsequenzer, der falsche Töne korrigiert und weitere Stimmen und Effekte hinzufügt. Loops und Looping sind auf dieser chor.com überall anzutreffen. Bin ich also mein eigener Chor? Ist der Chor mit mehreren Sängern womöglich überflüssig?

Die Fragen lassen sich ganz klar mit Nein beantworten, wenn auch im nächsten Raum Loops zu hören sind. Hier singt Christoph Hiller mit einer großen Gruppe von Fachteilnehmern seine Loopsongs. Hiller, der in Weimar Dirigieren, Schulmusik und Trompete studiert hat, ist ein junger, kreativer Kopf. Seine Loopsongs setzt er vor allem zur Stimmschulung und Rhythmusschulung im Chor ein. Die Loops fallen daher auch vor allem durch ihre rhythmische Vielfalt auf, die unter seiner Anleitung schlüssig erscheint. Dazu trägt auch seine Bodypercussion bei, die die Teilnehmer ungewohnt sanft auch einen 7/4-Takt sicher erfassen lässt. Neben den didaktischen Feinheiten machen die Loopsongs von Hiller aber auch einfach Spaß — und vor allem bleibt man dabei nicht lange alleine!

Im Workshop zum Gregorianischen Choral und dessen Interpretationsmöglichkeiten bei Stefan Klöckner singen alle Teilnehmer gemeinsam aus originalen Handschriften in Quadratnotation auf vier Notenlinien und diskutieren dann über die richtige Interpretation und Betonung. Neben dem “legatissimo”-Singen vermittelt Klöckner augenzwinkernd eine weitere wichtige Regel, die ihm widerum bereits sein Lehrer mitgab: “Im Gregorianischen Choral wird grundsätzlich nicht geatmet.” Um die “ungewohnten Intervallverhältnisse” zu verklanglichen, nutzt Stefan Klöckner den Nachbau eines mittelalterlichen Glockenspiels.

Markus Detterbeck ermutigte die Teilnehmer seines Workshops “Sing Africa, Sing!”, das neu gelernte Lied “Sithi Molweni!” (englisch “Let’s say hello”) doch einfach mal in einer eigenen Melodie zu singen: “In Afrika finden die Menschen es langweilig, dasselbe wie der Nachbar zu singen.”

In den ersten zwanzig Minuten des Workshops “Conversational musicianship and Circlesongs” singt Roger Treece einen einzigen dieser Circlesongs mit den Teilnehmern. Das heißt, er gibt jeder Stimmgruppe nacheinander Motive vor, dass diese dann stetig wiederholt, während die anderen Stimmgruppen darauf aufbauen. Jeder “Circle” basiert so auf einer simplen Idee – dem “Motor” – auf der die Musik und damit eine Geschichte aufbaut, die “im Moment geschrieben” wird. Singen wird so zu einer Sprache in der die Sänger sich unterhalten – conversational musicianship eben.

OLYMPUS DIGITAL CAMERADie Idee von Musik als Sprache nimmt auch Werner Schepp auf, der in seinem Workshop “Bewegung bewegt” (Foto rechts) Yehudi Menuhin zitiert: “Das Singen ist die eigentliche Muttersprache aller Menschen.” Mit den Teilnehmern übt er Spiele für deren Arbeit mit Kinderchören ein. Durch Klatschen, Tanzen und das Nachmalen der Melodien mit einem gedachten Farbpinsel sollen die Kinder Musik spüren lernen, ein Bewusstsein für Rhythmen und Tonbeziehungen erlangen und so ihre Muttersprache wiederfinden.

Damit geht ein spannender erster Workshop-Tag im Kongresszentrum zuende —  und die Fachteilnehmer strömen in die Dortmunder Innenstadt zu den Eröffnungskonzerten mit dem WDR Rundfunkchor Köln, dem Dresdner Kammerchor und der Vocal Band Slixs. Und morgen geht es schon um 8.15 Uhr mit dem Offenen Singen unter der Leitung von Michael Gohl im Goldsaal des Kongresszentrums weiter!

Text: Susanne Gerster (Gregorianik, Circle songs, Afrika, Bewegung), Johannes Pfeffer (Technik, Loopsong), Daniel Schalz